Fridhelm
Faecks, Rechtsanwalt und Notar am 03.09.2012, 18:00 Uhr,
Marburg:
Sehr verehrte Damen und Herren,
sehr geehrte
Bürgerinnen und Bürger,
die Sie sich für unser Klinikum Gießen
und Marburg in der Verantwortung sehen. Als Bürger Marburgs, als
"Bürger für Marburg", der 17 Jahre lang die Freude und
die Last hatte, das Amt eines Fraktionsvorsitzenden im Marburger
Stadtparlament zu tragen, nicht zuletzt als in Marburg seit mehr als
40 Jahren tätiger Jurist, habe ich heute die Ehre, einen Beitrag
"zur Sache" wegen der weiteren Entwicklung unseres
Universitätsklinikums in Gießen und Marburg im Rahmen des
gesundheitspolitischen Montagsgebets leisten zu dürfen. Ich danke
dem Vorstand der Elisabeth-Kirchengemeinde für sein großartiges
Engagement. Dies wirkt als Kristallisationspunkt tief in die
Marburger Bürgerschaft hinein. Das Forum in der Elisabethkirche hat
bislang schon eine Vielzahl von grundlegenden, über den Tellerrand
des Tages hinaus reichenden Gedanken, Einsichten und Lösungsansätze
in die Öffentlichkeit gebracht. Meinen Beitrag zur Sache möchte ich
mit der Überschrift versehen
"Bürgers Wachtraum und
einige Überlegungen zur Bewältigung einer objektiv unhaltbar
gewordenen Situation":
Erinnern wir uns, wie alles
angefangen hat: Kurz nach der zweiten Jahrtausendwende kam die
Regierung des Landes Hessen zu dem Befund, dass das
Universitätsklinikum Gießen vor allem in baulicher Hinsicht in
einen desolaten, wenn nicht katastrophalen Zustand geraten war.
Während sich das Uniklinikum in Marburg mit seinem dynamischen
Schwerpunkt auf den Lahnbergen an der Spitze des Fortschritts - für
hessische Verhältnisse jedenfalls - bewegte, stand Gießen im
landespolitisch verursachten Stau eines dramatischen
Innovationsbedarfs. Die Haushaltslage des Landes Hessen entsprach
damals 2003/2004 der relativ schlechten Gesamtwirtschaftslage in
Deutschland; konkret: das Land Hessen hatte kein Geld, um Gießen
aufzuhelfen. In dieser Ausweglosigkeit sah die Hessische
Landesregierung in Mittelhessen/Oberhessen einen, wie der damalige
Ministerpräsident Roland Koch es formuliert hat, regionalpolitischen
Konflikt aufziehen, einen Konflikt, der erstmals den Standort Marburg
deutlich im Vorteil sah und in dessen weiterer Entwicklung Gießen
zur Stadt mit schlichtem Kreiskrankenhausstatus geschrumpft wäre.
Das sollte nicht sein, wäre wohl auch objektiv nicht vernünftig
gewesen.
Ein Ei des Kolumbus musste her. Das fand sich, wer
immer es Herrn Koch in den Topf gelegt haben mag, in der Gestalt des
Gedankens "aus Zwei mach Eins". Die medizinisch und
finanziell starke Unikliniksanstalt Marburg wurde per
Uniklinikumsgesetz (UK-Gesetz) mit der ausgemergelten und
strauchelnden Anstalt Gießen - um in der Welt des Ei´s zu bleiben -
zusammengerührt. Flugs wurde dieses Rührsal zur Gesellschaft mit
beschränkter Haftung umgewandelt, um mit den ihres
Widerspruchsrechts beraubten, gesetzlich übergeleiteten
Belegschaften als wohl garniertes Gold-Omelett auf dem geldklingenden
Gesundheitsmarkt feilgehalten zu werden. Die auf kurze - zu kurze -
Sicht fast geniale Vorstellung hinter diesem brutalst-möglichen
Sanierungsplan mag eine mindestens vierfache gewesen sein:
- den
Regionalkonflikt Marburg/Gießen zu vermeiden,
- die
Krankenversorgung in Mittelhessen großflächig weiter
sicherzustellen,
- die Belegschaft beider Klinika bei möglichst
gesicherten Arbeitsplätzen ohne Meuterei und Gegenwehr aus dem
Landesbudget loszuwerden,
- Millionen schwere Investitionslasten
für jetzt und immerdar - dem Privatinvestor aufzuladen und dabei -
Politik strebt nach Denkmälern - einen Leuchtturm errichtet zu
haben: Ganz Deutschland, ja Europa sollte die Modellhaftigkeit
hessischer Hochschul- und Klinikpolitik bewundern.
Mit einem
Schlag würde Hessen annähernd 10.000 Beschäftigte und
Millionenlasten für überfällige Klinikbauten loswerden. Fast
sieben auf einen Streich - wie im Märchen. Und auf der Gegenseite
traten die privaten Klinikinvestoren zum Wettbewerbstanz um das
goldglänzende Eiermenü, inzwischen UKGM genannt, an. Roland Kochs
Marburg/Gießen-Omelett verhieß sichere Rendite und vor allem
Prestige. Der Kampf um den Zuschlag wurde mit solcher Erbitterung
geführt, dass erfolglose Bewerber nach dem Sieg von Rhön AG sogar
mit dem Rechtsweg drohten.
In der Folgezeit packten die
Rhön-Geister freilich wacker zu. Man investierte und
rationalisierte, man organisierte und effektivierte, man fasste
zusammen und lagerte aus. Schon im ersten Geschäftsjahr nach dem
Herrschaftswechsel schrieb das mittelhessische UKGM schwarze Zahlen.
Der Coup der Privatisierung erschien oberflächlichen Betrachtern als
Erfolgsgeschichte. Zwar verstummte der Chor der von Anfang an
vorhandenen Skeptiker und Gegner weder in Gießen noch in Marburg.
Zwar zeigten sich immer wieder Friktionen innerhalb der Führung von
Rhön AG und ihrer neuen Tochter, zwischen Geschäftsführung,
Betriebsrat und Belegschaft, im Verhältnis zu den niedergelassenen
Vertragsarztpraxen im Umfeld und gelegentlich auch zur Bevölkerung.
Jedoch: Der großformatige Regionalkonflikt war unter dem Deckel.
Großbaustellen in Marburg und Gießen banden die Aufmerksamkeit.
Staunend nahm allerdings die Öffentlichkeit die häufigen Wechsel in
der Geschäftsführung wahr. Solche Fluktuation war man unter der
Ägide des kaufmännischen Direktors Dr. Conrad, der jetzt das
Frankfurter Uni-Klinikum managt, jedenfalls in Marburg nicht gewöhnt.
Mit groß angesetzten Verheißungen der Behring-Röntgen-Stiftung und
den großherzigen Ausstattungsspenden eines Dr. Reinfried Pohl
verbreitete sich der Anschein, der Pfad der erfolgreichen Normalität
im UKGM sei in Reichweite. Die tendenzielle Unvereinbarkeit von
medizinischer Forschung sowie Lehre einerseits und maximal
renditeorientierter Patientenversorgung bei gleichzeitiger Übernahme
von Kreiskrankenhausfunktionen war allerdings vom Anfang des Projekts
"Privatisierung" an mit den Händen greifbar.
In
diese scheinbar offene Situation platzte das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2011. Unter dem Topos "nur
Sklaven kann man gegen ihren Willen verkaufen" rügte das
Bundesverfassungsgericht den hessischen Gesetzgeber, dass er den auf
die GmbH übergeleiteten Belegschaftern das Recht zum Widerspruch
vorenthalten hatte. Der nächste Schlag für das vermeintliche
Erfolgskonzept war das vorläufige Aus der aufwendig errichteten
Partikeltherapie. Rhön-AG vertrat den Standpunkt, dieses für
Marburg wichtige Exzellenzelement der Strahlentherapie nicht
wirtschaftlich betreiben zu können. Die Hessische Landesregierung
sah sich düpiert, das Vertrauen ins Rhön-Management bekam Ende 2011
auch aus der Sicht der hessischen Regierungspolitik erste Risse.
Diese klafften offen, als Stellenreduzierungspläne im Umfang von ca.
500 Arbeitsplätzen für das UKGM ruchbar wurden. Anschließend gab
es kein Halten mehr. Während der Hessische Landtag die
beeinträchtigten Belegschaftsrechte nach den Maßgaben des
Bundesverfassungsgerichts zu stärken versuchte und den Anspruch der
"Verkauften" auf Rückkehr in die Dienste des Landes Hessen
bis zum 30.06., inzwischen bis zum 31.12.2012 verbriefte, gingen die
Rhön-Geister auf Konfrontationskurs. Sie reklamierten auch für ihr
Flaggschiff, dass Uniklinikum Mittelhessen, volle Maximalrendite ohne
Rücksicht auf die von Anfang an offenkundigen Besonderheiten der
Verschränkung eines universitären Großklinikums mit den
medizinischen Fachbereichen zweier traditionsreicher Hochschulen.
Diese unverhohlen konfliktive, die Interessen des Landes Hessen und
seiner beiden mittelhessischen Universitäten, der Belegschaften der
Klinika und auch der Bevölkerung missachtenden Haltung führte bis
hier und heute zu einer multiplen Fruststarre, verstärkt durch einen
jetzt schon seit Wochen und Monaten anhaltenden Übernahmekampf
weißer oder schwarzer Ritter mit den eindrucksvollen Namen
Fresenius, Asklepios und Braun-Melsungen. Diese Fruststarre kann uns,
kann die Menschen in den Städten Marburg und Gießen, ihren Regionen
und den Nachbarregionen nicht gleichgültig lassen. Der Bereich
Mittelhessen mit seinem Doppelzentrum Marburg und Gießen ist eine
verdichtete Wissenschafts- und Gesundheitsregion. Ihr kommt für ganz
Hessen unter dem Aspekt regionaler Arbeitsteilung für Gegenwart und
Zukunft eine ganz besondere Aufgabe zu. Wenn Hessen eine Idee ist und
nicht nur ein Bundesland, dann ist die Region Mittelhessen mit ihren
beiden ältesten hessischen Universitäten und deren vereinigten
Kliniken ein unverzichtbarer Ideenträger, dessen objektive
Entwicklungsinteressen nicht zwischen konkurrierenden
Gesundsheitskonzernen zerrieben werden dürfen.
In unserer
heutigen - elften - Montagsbegegnung in der Elisabeth-Kirche drängt
sich uns als betroffenen Bürgern in der Mitte Hessens die Frage auf:
Was können wir - außer reden, appellieren, beten - was können wir
tun, um etwas zu bewirken, was können wir tun, um gehört zu werden?
Vielleicht ist es an der Zeit, auf der Grundlage des geänderten
hessischen Arbeitnehmerrechtegesetzes vom 02.07.2012 ein Szenario der
abgestuften Rückkehrabsicht zu entwerfen und intelligent zu
organisieren, gleichsam als flexible Reaktion auf den Verkauf der
Belegschaften in der Frage des Universitätsklinikumsgesetzes 2005.
Folgende Stufensequenz ist vorstellbar:
Stufe 1: Alle
Uniklinik-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gießen und Marburg,
deren gesetzliches Widerspruchsrecht nach dem Spruch des
Bundesverfassungsgerichts verletzt worden ist, erklären schriftlich
ihren Willen, in die Dienste des Landes Hessen zurück zu
kehren.
Stufe 2: Diese dokumentierten Treueerklärungen werden
zunächst nicht zum Wissenschaftsministerium nach Wiesbaden
übermittelt. Sie werden diskret bei einem zum Schweigen
verpflichteten Treuhänder registriert und verwahrt.
Stufe 3: In
wöchentlichen Intervallen, zum Beispiel zu Beginn des
gesundheitspolitischen Montagsgebets in Marburg und an einem
angemessenen Ort in Gießen, berichtet der Treuhänder über die Zahl
und Entwicklung der Rückkehrgesuche.
Stufe 4: Die Rückkehraktion
wird durch eine konzentrierte und vernetzte Öffentlichkeitsarbeit,
z.B. aus der Mitte des Bündnisses "Gemeinsam für unser
Klinikum", zusätzlich durch Print- und andere Medien offensiv
begleitet..
Stufe 5: Nach zuerst zögerlichem Beginn der
Rückkehrbewegung wächst eine Flutwelle des Rückkehrwillens an.
Geht man von ca. 10.000 Bediensteten im Großklinikum Gießen und
Marburg aus, führt die Loyalitätsmanifestation von auch nur 3.000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu einem solch mächtigen
politischen Signal, dass Wiesbaden handeln muss, damit ein Jahr vor
der Landtagswahl in Hessen kein unkontrollierbarer Regionalkonflikt
entsteht und genau das eintritt, was man ursprünglich mit aller
Macht hat verhindern wollen. Hierbei werden keine politischen Trotz-
oder Panikreaktionen sowie Drohungen, insbesondere in Richtung
Marburg, helfen. Rückkehrwillige werden nicht, wie es bislang
geplant zu sein scheint, durch Versetzung an heimatferne Einsatzorte
gemaßregelt werden können. Abwegig und zum Scheitern verurteilt ist
auch der Zorn von wählerenttäuschten hessischen Landespolitikern,
die glauben, das aufmüpfige Marburg auf Kreiskrankenhausniveau
herunter strafen zu dürfen.
Bevor es - Stufe 6 - am 31.12.2012
zur endgültigen Ablieferung der massenhaft eingegangenen
Rückkehrerklärungen in Wiesbaden kommt, wird es, gerade wenn es der
Fresenius-Konzern mit seiner Helios AG unternehmen sollte, die Rhön
AG als Mehrheitsgesellschafter der UKGM GmbH zu verdrängen, den
großen Kompromiss praktisch-politischer Vernunft geben müssen; denn
ohne Mitarbeiter kann das Großklinikum Mittelhessen auch von
Fresenius nicht betrieben werden. Und so viele Versetzungsstellen
außerhalb des UKGM sind beim Land Hessen nicht vorhanden, dass alle
Rückkehrwilligen untergebracht werden könnten.
Als Eckpunkte
einer solchen Kompromisslösung möchte ich nennen:
1. Das
Groß-Klinikum Gießen und Marburg bleibt arbeitsteilig differenziert
als Einheit zusammen. Insofern hätte die Notaktion 2005 doch ein
nachhaltiges Ergebnis gezeitigt. Das Universitätsklinikum Gießen
und Marburg wird als Einheit der Mittelpunkt exzellenter
medizinischer Forschung, Lehre, Ausbildung und klinischer
Patientenversorgung für die Region Marburg/Gießen-Wetzlar und für
ganz Hessen. Die Städte Gießen und Marburg lassen sich nicht
auseinanderdividieren und nicht gegeneinander ausspielen. Die Region
"Mitte Hessen" steht zusammen.
2. Das Land Hessen
übernimmt wieder die Mehrheit der Geschäftsanteile der UKGM GmbH,
entscheidet über die künftige Rechtsform und schafft im Zweifel die
Voraussetzungen für Gemeinnützigkeit. Wenn das arme Land
Rheinland-Pfalz 300 Millionen Euro für seinen Freizeitpark am
Nürburgring verbrennen kann, wird sich Hessen allemal einen
Irrtumsausgleich durch Rückkauf des Universitätsklinikums Gießen
und Marburg leisten können. Vielleicht finden sich ja neben dem Land
Hessen weitere Träger einer Rückkauffinanzierung.
Selbst
wenn eine Rücknahme in die Verantwortlichkeit des Landes Hessen
nicht möglich sein sollte, wäre der Konsortialvertrag zwischen dem
Lande Hessen und dem privaten Investor unter dem Druck des
massenhaften Rückkehrwillens der Belegschaft so zu ändern, dass ein
für ein Uniklinikum angemessener Personalschlüssel, vor allem
Forschung und Lehre im UKGM für die Zukunft gesichert sind.
Findigkeit und Kreativität sind in dieser besonderen Situation
gefordert. Wem der Herr ein Amt gegeben, dem hat auch er auch
Verstand gegeben. Zum Schluss möchte ich allen Ärzten, Schwestern
und Pflegern im UKGM Dank sagen für ihre volle und stete
Leistungsbereitschaft trotz der ungeklärten Gesamtsituation. Meine
eigene Erfahrung mit der Behandlung meiner Ehefrau im Uni-Klinikum
Marburg steht hinter meinem Dank.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir
zugehört haben.